Dunum und umzu

Hellgrün als Kurs, Landschaft als wichtigstes Erbe unserer Region. Beitrag von Axel Heinze / Theo Spek

Hellgrün als Kurs

Der Professor für Kulturlandschaftsgeschichte Theo Spek an der Universität Groningen hat ein Essay über einen möglichen Weg für die Landschaftspolitik in der Provinz Friesland in den Niederlanden geschrieben, mit dem die Probleme von Landwirtschaftspolitik und Naturschutzpolitik überwunden werden können. Zahlreiche seiner Argumente gelten genauso für die Region Ostfriesland in Niedersachsen. Deshalb versuche ich, seine Argumentation auf unsere Region zu übertragen, um hier vielleicht eine Diskussion über einen möglichen Weg in die Zukunft anzuregen.
Anders als im Ruhrgebiet oder anderen industrialisierten Zentren der Bundesrepublik besitzt Ostfriesland noch eine Auswahl an gut erhaltenen Kulturlandschaften: von den Moorkolonaten im Süden über die durch Wallhecken geprägten Geestlandschaften und den uralt besiedelten und bewirtschafteten Geestrand, von den Meeden der küstenfernen Marsch über die Warftenlandschaften der höheren Marsch, über die Polderkultur der jungen Marsch mit ihren Sielhäfen und über das einzigartige Wattenmeer zu den eigenartigen Strukturen unserer Nordseeinseln, die heute vom Fremdenverkehr dominiert werden, aber eine ganz andere wirtschaftliche Vergangenheit haben. Obwohl Jahrhunderte alt, sind diese Landschaften springlebendig und spielen jeden Tag wieder eine wichtige Rolle im täglichen Leben und in der Wirtschaft Ostfrieslands.
Es ist nicht nur die plattdeutsche Sprache und die ostfriesische Kultur, die dieser Region ihre eigene Identität verleiht, sondern auch die Landschaft im intensiven Verband mit der eigenen Geschichte. Wo du herkommst, wo du jetzt wohnst oder wo du deine Freizeit verbringst, gräbt sich immer tiefer in deine Seele und weckt auf die Dauer eine immer tiefere Verbundenheit mit diesem Land. Jede Landschaft – wie unscheinbar auch oft für Außenstehende – ist eine Landschaft, an die Menschen gewöhnt sind, und dieses starke emotionale Band ist kaum in seinem Wert zu ermessen.
Es ist ein unlösbarer Bestandteil unserer Identität, eine existenzielle Selbstverständlichkeit, deren man sich erst dann bewusst wird, wenn sich in unserer Landschaft plötzlich etwas verändert: Es wird dadurch auch etwas von uns selbst berührt.

Größter Schatz
Was für einzelne Menschen gilt, gilt auch für Ostfriesland insgesamt: Wenige Dinge sind so intensiv mit der ostfriesischen Identität verbunden wie die Landschaft. Zahlreiche Generationen Ostfriesen bauten Schritt für Schritt an der reichen Vielfalt von Landschaften, die diese Region seit langem kennt und gaben jedem Teil ihren einzigartigen Charakter. Zusammen formen sie unbezweifelt den größten kulturhistorischen Schatz von Ostfriesland, vielleicht noch wichtiger als alle historischen Monumente und Kunstschätze zusammen.
Die Landschaft ist tatsächlich das größte und wichtigste Erbe der Region Ostfriesland und deshalb etwas, in das wir investieren müssen. Gleichzeitig ist es auch ein sehr empfindliches Erbe. Etwas, das Jahrhunderte existiert hat, wird manchmal durch einen unüberlegten Beschluss des Besitzers oder der Behörde für immer vernichtet. Wer sich um die Landschaft von Ostfriesland bemüht, denkt nicht in kurzen Terminen, sondern eher in den langen Linien der Zeit. Es geht hierbei um Respekt vor der jahrhundertealten Landschaft, die unsere Vorfahren Schritt für Schritt entwickelt haben, vor der Natur, die sich darauf entwickelt hat, und den Boden, der früher so reich an Bodenleben war. Und gleichzeitig geht es um Respekt und Sorge für unsere Kinder, Enkelkinder und spätere Generationen, denen wir eine erlebbare und reich variierende Landschaft hinterlassen wollen. Landschaftserhalt ist deshalb nicht nur ein planologisches, ökologisches und ökonomisches, sondern auch ein ethisches Problem.
Was sonderbarerweise immer noch unterschätzt wird, ist der enorme ökonomische Wert der ostfriesischen Landschaft. Wie wichtig ist inzwischen die Freizeitwirtschaft in allen Bereichen von Ostfriesland? Es geht nahezu immer um hohe Prozentwerte des regionalen Bruttosozialproduktes. Die Landschaft ist dabei der größte Multiplayer, denn Erholungssuchende, Urlauber und Ruheständler kommen vor allem nach Ostfriesland wegen der zahlreichen Qualitäten der Landschaft.

Immobilienpreise

Auch für die Attraktivität von neuen Bewohnern und Betrieben scheint die Qualität von Landschaft und die Lebensqualität einer der wichtigsten Faktoren zu sein. In schönen Landschaften sind die Immobilienpreise signifikant höher als in hässlichen. Kurz gesagt: Die Landschaft ist von grundlegender Bedeutung für die ostfriesische regionale Wirtschaft. Aber wird darin auch genügend investiert, so dass wir auch für längere Zeit dieses ‚Huhn mit den goldenen Eiern‘ erhalten können?
Wir hoffen, dass dies geschieht, denn Investitionen in die Landschaft führen auf die Dauer zu einem wirtschaftlichen Gewinn.
Bereits seit Jahren sorgen wir uns in der Bundesrepublik Deutschland um die abnehmenden Anzahlen an Vögeln, Schmetterlingen, Insekten, wilden Pflanzen und anderen Lebewesen. Ihre Abnahme beträgt nach aktuellen Untersuchungen hohe Prozentwerte, weil wir als Menschen schon seit Jahrzehnten Natur und Landschaft unseren eigenen Wünschen untergeordnet haben. Auf allen Seiten sind sich alle darüber einig, dass wir damit zu weit gegangen sind und dass in den nächsten Jahren ein Kurswechsel erforderlich ist, in dem die ökonomische Entwicklung stets verbunden sein muss mit einer besseren Vorsorge für unsere Umwelt.
Eine der größten Herausforderungen bei der heutigen Politik wie auch in den regionalen Entscheidungsgremien liegt auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit des ländlichen Raumes. Die Stickstoffkrise, die alarmierenden Berichte über den Zusammenbruch der Biodiversität und die Notwendigkeit, Bodenerosion und Austrocknung zu verhindern, haben bei vielen Politikern das Bewusstsein wachsen lassen, dass ein Kurswechsel erforderlich ist.
Viele in unserer Gesellschaft weisen dabei zunächst auf die Landwirtschaft: Der Faktor, der fast immer als Sündenbock für die oben genannten Probleme betrachtet wird. Ich bezweifle stark, ob das zutrifft und sinnvoll ist. Wer aus der Sicht der Landschaft und an längere Zeiträume denkt, versteht nämlich, dass Landwirte nicht nur diejenigen gewesen sind, die die ostfriesische Landschaft geschaffen haben und unterhalten, aber auch in der Zukunft ein unverzichtbares Bindeglied sind zwischen dem Erhalt und der weiteren Entwicklung davon. Ohne Landwirte gibt es keine Kulturlandschaft.
Dies bedeutet, dass wir aufhören müssen, mit den Fingern aufeinander zu zeigen, und in kürzester Zeit mit der Landwirtschaft und den Naturschutzorganisationen Pläne machen müssen, um Landwirtschaft, Natur und Landschaft im ländlichen Ostfriesland eine gute Zukunft zu geben. Die Lösung für diese Problematik wird nach meiner Auffassung noch zu oft nur in zwei Richtungen gesucht. Die Landwirtschaft plädiert fast immer für eine technologische Lösung: Sie investiert einen großen Teil des Haushalts in das Vergrößern der Effektivität der agrarischen Technik und der Produktionsmethoden, dann wird es wohl werden. Naturschutzorganisationen wollen dagegen die gleichen Millionen für dunkelgrüne Ziele ausgeben wie Natura2000 oder großräumige Naturrekonstruktion.
Beide Auflösungsrichtungen sind sinnvoll, aber ich frage mich ab, ob es keinen dritten und erfolgversprechenderen Weg gibt: Die großmaßstäbige Investition in die landschaftliche Qualität der Landwirtschaft und damit in eine biodiverse agrarische Landschaft. Mein Rat an die ostfriesische Politik wäre dann, nicht nur in weiße (landwirtschaftliche) oder dunkelgrüne (natürliche) Gebiete zu investieren, sondern viel mehr auf hellgrün zu setzen, also auf die Erhaltung der Landschaft in den landwirtschaftlichen Gebieten.

Eigenart als Leitmotiv

Aus den jüngsten Biodiversitätsuntersuchungen der Groninger Universität folgt, dass überall dort, wo Landschaft abwechslungsreicher ist, mehr Pflanzen und Tierarten vorkommen. Eine logische Folgerung, wird jeder sagen, aber warum handeln wir dann seit Jahren nicht nach dieser Regel und investiert die ostfriesische Politik so entsetzlich wenig in die Qualität der ostfriesischen Landschaft? Es ist höchste Zeit für eine Wende. Welcher Ablaufplan ist dabei erforderlich? Zunächst müssen wir für jeden Teil von Ostfriesland feststellen, worin die Qualitäten dieser Landschaft genau liegen. Wo liegen die Möglichkeiten für Wiederherstellung, ohne dass dies direkt auf Kosten der ökonomischen Perspektiven und der Zukunft der Landwirtschaft geht? Und wie können solche Projekte mit Unterstützung der Bevölkerung, der Landwirtschaft und der Naturschutzorganisationen angefasst werden?
Manchmal bedeutet die Investition in das Gewässersystem einen Zusammenhang mit Klimabedingungen, so wie in den Grodengebieten, der Warftenlandschaft, bestimmten Niedermoorgebieten und den Gewässerläufen von Ems, Leda und Jümme. Manchmal geht es um die Wiederherstellung von Pflanzengesellschaften, wie zum Beispiel in den renaturierten Mooren am Ewigen Meer oder im Stapeler Moor. In Kleigebieten, in der Krummhörn oder in der Hager Marsch, kann experimentiert werden mit der Wiederherstellung von innovativen Grüppensystemen, lokalem Wasserhaushalt und Extensivierungsstrategien, damit Weidevögel und Grünlandpflanzen wieder neuen Lebensraum erhalten, während gleichzeitig der Landwirt immer noch seine Arbeit machen kann.
Und mit der derzeitigen Bewaldungsstrategie der Naturschutzbehörden und niedersächsischen Forstverwaltung in der Hand können an einzelnen Flecken Wallhecken, Gehölzreihen und Waldstücke wiederhergestellt werden, die den Arten von geschlossenen Landschaften mehr Lebensraum bieten.
Ein Teil der Dorfbewohner hofft auch auf bessere Möglichkeiten für ihre täglichen Wanderungen, und in zahlreichen noch unentdeckten Gebieten liegen noch große Möglichkeiten für eine Erholungserschließung, gebunden an Landschaftswiederherstellung. Zieht auch den Erholungs- und Fremdenverkehrssektor in die Planungen mit ein, um deren Unternehmen landschaftlich attraktiver zu machen.
Auf diesem Gebiet warten noch große Chancen auf uns. Dies erfordert wohl Mut von Politik, gesellschaftlichen Organisationen und Bewohnern, um einen anderen Kurs einzuschlagen.

Investieren

Die oben genannten Maßnahmen – und da gibt es noch viel mehr – vergrößern die landschaftliche Vielfalt und Biodiversität von Ostfriesland, erhöhen den Erholungswert für die eigenen Bewohner wie auch für die Touristen und verstärken nebenbei das Band, das die Menschen mit ihrer Umgebung haben, weil in ein schönes Ostfriesland in der Zukunft investiert wird. Diese Form von Landschaftswiederherstellung passt auch mit einer wirtschaftlichen Nachhaltigkeit zusammen, sicher auch wenn hier aus Brüssel (Frans Timmermans’ Green Deal) durch die Bundesregierung (ländlicher Raum, Nachhaltigkeitskonzepte etc.) und durch das Land Niedersachsen (Niedersächsischer Weg) aktiv unterstützt wird.
Landwirte brauchen nicht die Hälfte ihrer Nutzfläche oder ihres Viehbestandes abzugeben, um eine reichere Landschaft zu erhalten. Wohl werden sie gefragt um mit nachzudenken über Verbesserungen und wie Ökonomie, Natur und Landschaft in ihrem eigenen Betrieb ineinandergreifen können.
Gerade in dieser Corona-Zeit wird deutlich, wie groß die Bedeutung von Natur und Landschaft für die Menschen ist, und die Politik kann deshalb schon in der nächsten Zeit einmal einen Zahn zulegen. Investieren in die Landschaft hilft mit, Ostfriesland zu profilieren als eine Region, die stolz auf ihre eigene Kultur und ihre eigene Landschaft ist. Damit wird es auch möglich, Ostfriesland zu einer Musterregion zu machen in einem nachhaltigen Zusammenhang zwischen Landwirtschaft, Landschaft und Natur. Lasst uns jeder seine eigene Verantwortlichkeit hierbei nutzen.
Übertragen von Axel Heinze
Der Essay von Theo Spek mit dem Titel: „lichtgroen als koers“ wurde am 27. März 2021 im Leeuwarder Courant publiziert.

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